Vier Figuren
für Ensemble (18 Spieler) in drei Gruppen
Das Werk des Malers und Bildhauers Alberto Giacometti hat auf mich stets eine große Faszination ausgeübt, vor allem seine Auffassung von Wirklichkeit. Es gibt bei ihm eine ständige Wechselwirkung zwischen dem Detail und dem Ganzen; die "belanglose Wirklichkeit" und das "hinter Schleiern liegende" Unfassbare durchdringen sich. Im Gespräch mit André Parinaud sagte er: "Die Welt erstaunt mich von Tag zu Tag mehr. Sie wird entweder weiter oder wunderbarer, sie wird unfassbarer, schöner. Das Detail begeistert mich, das kleine Detail, wie das Auge in einem Gesicht oder das Moos auf einem Baum. Aber nicht mehr als das Ganze; denn warum sollte man einen Unterschied machen zwischen dem Detail und dem Ganzen? Es sind doch gerade die Details, die das Ganze ausmachen, die die Schönheit einer Form ausmachen."
Wie Giacomettis Skulpturen dem Betrachter im erstem Moment als klare Schnitte im dreidimensionalen Raum erscheinen, so durchschneiden die Akkordblöcke in meiner Komposition die Realität des akustischen Raumes. Dahinter eröffnet sich ein Feld neuer Erfahrungen, die aus der Wahrnehmung des Details, seiner Aura, seiner Überlappung und Überblendung mit anderen Details resultieren. Immer wiederkehrende Elemente wie die Akkordschnitte, arabeskenartige Figuren und Geräuschklänge erscheinen in anderem Kontext als neue und stellen die Beständigkeit der Dinge in Frage.
Angeregt wurde mein Stück durch die Gruppe der vier in der Fondation Beyeler in Riehen/Basel ausgestellten Skulpturen von Alberto Giacometti: Großer Kopf - Schreitender Mann II - Große Frau III - Große Frau IV. Jede von ihnen stellt für sich ein geistiges Kraftzentrum dar, und als Ensemble bilden sie im Raum ein Spannungsfeld von unerhörter Dichte. Mit den Klängen eines in drei Gruppen aufgeteilten Ensembles versuchte ich etwas von dieser starken geistigen Präsenz einzufangen. Der vierte Pol im musikalisch-räumlichen Spannungsfeld ist der Hörer, der damit Teil des Spiels wird. - Die Komposition ist Ernst Beyeler zum 80. Geburtstag gewidmet.
Bettina Skrzypczak (2001)