SN 1993 J
für Orchester (1994/95)
Langer Werkkommentar:
Der direkte Auslöser für die Komposition war eine kurze Zeitungsnotiz über die Entstehung eines neuen Sterns, einer Supernova mit der astronomischen Bezeichnung "SN 1993 J". Mich beeindruckte die Diskrepanz zwischen dem Ausmass des Ereignisses und dem lapidaren Charakter der Information. Andererseits beschäftigte ich mich damals intensiv mit der Möglichkeit einer musikalischen Form, die auf einer kontinuierlichen Transformation des Materials beruhen sollte und deren innere Logik selbst als Prozess angelegt wäre. Aus diesen beiden Quellen entwickelte sich die konkrete Werkidee. Beim Komponieren kam ich mir vor wie in einem chemischen Labor, wo man verschiedene Substanzen miteinander mischt, wobei je nach Verfahren unendlich viele Resultate möglich sind. Mein Stück ist eine dieser möglichen Varianten.
Grundlage der Transformationsprozesse sind Intervallzellen, die eine strukturbildende Funktion besitzen. Es gibt zwar viele strukturelle Referenzen im Stück, doch sollten sie dem Hören nicht als Orientierungspunkte dienen, weshalb ich mit bemüht habe, sie eher zu verschleiern als zu verdeutlichen. Die Komposition oszilliert zwischen zwei Polen. Einerseits gibt es Tutti-Prozesse mit mehr objektivem Charakter, die für die unbelebte Materie stehen könnten und eine emotionale Distanz signalisieren, andererseits Prozesse, die mehr im subjektiven Ausdruck wurzeln und melodischen Charakter haben. Diese artikulieren sich in einigen kurzen Soli, werden aber auch in Form dichter polyphoner Felder auf das Tutti projiziert, das damit von innen heraus belebt wird. Das Stück besitzt keinen Kulminationspunkt und sollte als offener Prozess verstanden werden.
Bettina Skrzypczak (2004)