aus Partitur 'Vier Figuren'

Illuminationen

für Klarinette, Violoncello und Klavier (2008)

Charakteristisch für die unverwechselbare Musiksprache der polnisch-schweizerischen Komponistin Bettina Skrzypczak sind die mit vitaler Energie aufgeladenen Klangprozesse, ein Gespür für formale Proportionen und die harmonisch-melodische Feinarbeit im Bereich der Mikrointervalle, basierend auf einer genauen, durch das Gehör abgestützten Analyse der Obertonverhältnisse.

In der Komposition "Illuminationen", die sie auf Wunsch Eduard Brunners, des Uraufführungsinterpreten, für die klassische Besetzung des Klarinettentrios schrieb, resultieren diese Merkmale nicht zuletzt aus den Besonderheiten der Instrumentalkombination Klarinette/Violoncello/Klavier. Die Mehrklänge werden mit ihren Teiltönen zu Bestandteilen der harmonischen Struktur gemacht, und ein wesentliches Spannungsmoment ergibt sich aus der Polarität zwischen dem temperierten Klavier und den beiden anderen Instrumenten.

Das Klavier wird einerseits als perkussiver Impulsgeber eingesetzt; Cello und Klarinette füllen seinen starren Akkordraster mit mikrotonalen Lineaturen aus, und zugleich bewahren sie den Klavierklang vor dem Verschwinden, indem sie seinen Nachhall aufgreifen und modifizierend fortsetzen. Andererseits beteiligt sich das Klavier auch am geschmeidig ineinander fliessenden Liniengeflecht, auf das sich der Titel "Illuminationen" unter anderem bezieht.

Das Wort ist aus der Buchdruckerkunst entliehen und bezeichnet die Ausschmückungen in mittelalterlichen Handschriften, darunter die arabeskenähnlichen Verzierungen einzelner Initialen, die dadurch in ihrer Bedeutung hervorgehoben werden. Diese Initialen, so die Komponistin, bilden Knotenpunkte in einem geheimnisvollen Netz von Kraftlinien, die sich über den gesamten Text erstrecken und eine zweite, semantisch lesbare Substruktur zur vorhandenen Textschicht erzeugen. In den klanglich subtil ausbalancierten Gravitationsfeldern des Werks finden diese Konstellationen eine musikalische Entsprechung.

Werkkommentar von Max Nyffeler im Programmheft zur Uraufführung am 20.9.2008 beim Lucerne Festival.

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